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Die folgende Stellungnahme wurde am 08. Oktober 2022 an die Oberbürgermeister von Dortmund, Düsseldorf, Offenbach, Stuttgart & München, die Innenminister der Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg & Bayern, die weiteren Bürgermeister*innen der Städte sowie Rathäuser & Staatskanzleien sowie die betreffenden Kinobetreiber geschickt. Die Stellungnahme an den Oberbürgermeister von Düsseldorf, Dr. Keller, ist im Folgenden im Wortlaut nachzulesen.

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Keller,

wir sind schockiert über die Meldung, dass deutsche Kinobetreiber Boris Malagurski, einem rechtsgesinnten serbischen Nationalisten und Genozidleugner, eine Plattform für seinen Propagandafilm SRPSKA – Der Kampf um die Freiheit bieten möchten.
Hunderte Nachrichten besorgter Bürger*innen haben sich bei uns gemeldet mit der Bitte, auf diesen Skandal aufmerksam zu machen. Dazu zählen nicht nur bosnisch-stämmige Menschen, deren Wunden aus dem Krieg 1992-1995, die durch Vertreibung, Ermordung, Vergewaltigung und weiterer Gräueltaten gegen die Menschlichkeit, durch eine solche Ankündigung erneut geöffnet werden. Bei uns haben sich auch Dutzende Bürger*innen aus den jeweiligen Städten gemeldet, die es skandalös finden, dass ihre Stadt und auch die Kinobetreiber Genozid-Leugnern eine solche Bühne bieten möchten.

Der umstrittene und in vielen Städten in Bosnien-Herzegowina und Europa bereits verbotene Propagandafilm thematisiert die Republika Srpska, eine von zwei Entitäten von Bosnien-Herzegowina. Der Film verharmlost die Gräueltaten, die von Seiten der Polizei und der Armee der Republika Srpska (MUP RS & Vojska Republike Srpske) im Zeitraum 1992-1995 begannen wurden. In Nordrhein-Westfalen sind Projektionen in Dortmund am 24.10.2022 sowie in Düsseldorf am 25.10.2022 sowie geplant.

Problematisch ist auch der Hintergrund des Regisseurs Boris Malagurski. Er arbeitet als Produzent und Redakteur bei Sputnik Serbia, einem Ableger von Sputnik Russland. Wie Sie mit Sicherheit wissen, hat die Europäische Union Sanktionen gegen die Sendetätigkeiten der staatseigenen Medien RT/Russia Today und sowie Sputnik in der EU verhängt. Damit wurden die in der EU stattfindenden oder auf die EU abzielenden Sendetätigkeiten von Sputnik und RT/Russia Today umgehend ausgesetzt, bis die Aggression gegen die Ukraine ein Ende hat und die Russische Föderation und die ihr nahestehenden Medien ihre Desinformations- und Informationsmanipulations-maßnahmen gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten einstellen. Sputnik steht hierbei unter der ständigen direkten oder indirekten Kontrolle der Regierung der Russischen Föderation und trägt zusammen mit Russia Today wesentlich dazu bei, die militärische Aggression gegen die Ukraine zu befeuern und zu unterstützen sowie ihre Nachbarländer zu destabilisieren.

Weiter ist anzuführen, dass die EU die Sanktionen damit begründet, dass „[…] die Russische Föderation eine systematische internationale Kampagne der Desinformation, Informationsmanipulation und Verfälschung von Fakten […]“ unternimmt, und das insbesondere zu Wahlzeiten, um die Gesellschaft zu verunsichern. Wie Sie sicherlich wissen, haben vor einigen Tagen Wahlen in Bosnien-Herzegowina stattgefunden. Die Vorstellung und Premiere des Films SRPSKA – Der Kampf um die Freiheit wurde in die Wahlkampagne integriert, mit der Premiere am 01. Oktober, einen (!) Tag vor den Wahlen am 02. Oktober 2022. Der vorherige Film von Malagurski thematisierte Montenegro, in dem es anschließend zu Unruhen durch serbische Nationalisten kam. Wir erwarten, dass Sie kein Interesse daran haben, einer solchen Persönlichkeit eine Bühne zu liefern und damit Teil der Desinformations- und Informationsmanipulationskampagne Russlands in der EU zu sein.

Herr Malagurski ist zudem ein enger Vertrauter von Milorad Dodik, Genozid-Leugner und Putin-Freund, der auf der Schwarzen Liste der USA für die Bedrohung des Friedens und der territorialen Integrität & Souveränität Bosnien-Herzegowinas steht und sich zudem nach der Aggression Russlands mehrmals mit Russlands Präsidenten getroffen hat. Das langfristige Ziel, das Malagurski mit diesem Film und seinen Aktivitäten hat, ist es, ein Donbass 2.0 auf dem Territorium von Bosnien-Herzegowina zu errichten – und das alles als Teil einer Desinformations- und Informationsmanipulationskampagne.

Zudem kann die erwähnte Filmvorstellung auch rechtliche Konsequenzen für die Veranstalter sowie die Kinobetreiber nach sich ziehen, da in Bosnien-Herzegowina für die Leugnung der Verbrechen des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die bereits durch eine Reihe von nationalen und internationalen Gerichten rechtskräftig festgestellt wurden, eine Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren droht. Dabei gilt der Akt der Leugnung unabhängig vom Ort der Leugnung, so dass eine nachträgliche strafrechtliche Verfolgung durch bosnisch-herzegowinische Behörden möglich ist.

Wir gehen davon aus, dass Sie die Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (UN-Kriegsverbrechertribunal, kurz: ICTY) sowie des Internationalen Gerichtshofs (IGH, engl. ICJ) kennen und respektieren. Falls dies nicht der Fall ist, möchten wir Ihnen einen kurzen Überblick geben. Sowohl der Internationale Gerichtshof als auch der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) stellen fest, „dass es sich bei den Verbrechen in Srebrenica um Völkermord handelte. Sämtliche militärische und politische Handlungen im Rahmen dieser Operation, die nach dem Fall von Srebrenica am 11. Juli 1995 begann und fünf Tage später endete, hatten nur ein einziges Ziel: die vollständige Auslöschung der bosniakischen Bevölkerung der Enklave Srebrenica.“
Der Internationale Gerichtshof kommt zudem zum Schluss „dass die in Srebrenica begangenen Taten […] mit der spezifischen Absicht begangen wurden, einen Teil der muslimischen Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina zu vernichten, und dass es sich demzufolge um Völkermord handelt.”

Als deutsch-bosnisches Netzwerk sehen wir uns in der Pflicht, Sie auf diese Tatsachen und Fakten hinzuweisen. Deutsche Kinobetreiber sollten insbesondere beim Thema Völkermord/Genozid ein sehr feines Gespür haben und sich nicht auf die Seite der Täter und Leugner stellen und ihnen eine Bühne liefern, sondern ihren Teil dazu beitragen, dass es nach Srebrenica, dem schwersten Kriegsverbrechen in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nie wieder zu einem Völkermord/Genozid auf europäischem Boden kommt.

Nicht nur die beiden Gerichtshöfe haben eine klare Sprache, wenn es um den Genozid von Srebrenica geht. Der stellvertretende Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Menachem Z. Rosensaft, hat ebenfalls eine klare Stellung zum Genozid von Srebrenica.

Neben diesen Worten möchten wir Sie zudem auf Urteile deutscher Gerichte hinweisen, die bereits Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre den Genozid neben Srebrenica auch in weiteren Gemeinden Bosnien und Herzegowinas in den Jahren 1992-1995 festgestellt haben. Wesentliche Teile dieser Urteile wurden auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bestätigt. Dazu zählen:

Der Fall „Jorgić“
Am 26. September 1997 verurteilte das Oberlandesgericht des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf Nikola Jorgić aus Doboj zu lebenslanger Haft. Jorgic, der 1995 auf dem Flughafen in Düsseldorf festgenommen wurde, wurde in 11 Fällen wegen Völkermord und in 30 Fällen wegen Mord und Entführung für schuldig befunden. Es war das erste Mal, dass ein deutsches Gericht eine Person wegen Völkermord verurteilt hat, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat das Urteil gegen Nikola Jorgić bestätigt.

Der Fall „Novislav Đajić“
Auch der bosnische Serbe Novislav Đajić wurde vom Bayerischen Obersten Gerichtshof in erster Instanz zur Beteiligung am Völkermord an den Bosniaken verurteilt. Đajić war an der Ermordung von mindestens 30 Bosniaken im Jahr 1992 beteiligt. Staatsanwalt Walter Hemberger sagte, Novislav Djajic habe nicht nur den Krieg mit serbischen Kämpfern geführt, sondern sei “weitgehend dem serbischen Ziel des Völkermords unterworfen” gewesen. Obwohl Đajić selbst in zweiter Instanz individuell aufgrund von mangelnden Beweisen freigesprochen wurde, stellte der Bayerische Obergerichtshof fest, dass 1992 in Foča Völkermord begangen worden war.

Der Fall „Maksim Sokolović“
Darüber hinaus wurde der bosnische Serbe Maksim Sokolović vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Beihilfe zum Völkermord an den Osmaci-Verbrechen in der Nähe von Kalesija verurteilt. Laut der Anklageschrift nahm Sokolović im Mai und Juni 1992 als Anführer einer paramilitärischen Einheit in Bosnien und Herzegowina an ethnischen Säuberungen teil.

Aus all den genannten Gründen wird deutlich, dass eine Ausstrahlung des Propagandafilms in jedem Fall durch Sie abgesagt werden muss. Alles andere wäre eine fatale Entscheidung, da Sie sich damit auf die Seite der Geschichtsumschreibung, Genozidleugnung und Verharmlosung von Vebrechen gegen die Menschlichkeit stellen würden.

Wir hoffen, dass Sie sich gegen die Ausstrahlung dieses Films aussprechen und dem Kinobetreiber nahelegen, die Ausstrahlung abzusagen.

Mit freundlichen Grüßen

Ahmed Spahić

Vorstandsvorsitzender des pangea netzwerks

 

Hier die gesamte Stellungnahme nachlesen

 

Über das pangea netzwerk

Das pangea netzwerk – Das deutsch-bosnische Netzwerk für Wirtschaft, Bildung und Akademie ist die größte Vereinigung seiner Art im deutschsprachigen Raum und vernetzt derzeit mehr als 250 engagierte Professionals, Akademiker und Studierende mit den unterschiedlichsten universitären Hintergründen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Hauptfokus des Netzwerks liegt dabei auf der Vernetzung von bosnisch-stämmigen Menschen mit dem Ziel der Vermittlung von Bildungschancen und beruflichen Perspektiven. Zudem dient das Netzwerk als Brückenbauer zwischen Bosnien und Herzegowina und Deutschland, Österreich und der Schweiz im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Sinne. Gleichzeitig setzt sich das Netzwerk als Sprachrohr für die europäische Perspektive Bosnien und Herzegowinas als zukünftiges vollwertiges Mitglied der Europäischen Union ein.