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Die folgende Stellungnahme wurde am 04. November 2022 an Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock, Bundesministerin des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland, Frau Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages sowie Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina gesendet. Die Stellungnahme an den Hohen Repräsentanten Schmidt ist im Folgenden im Wortlaut nachzulesen.

 

Sehr geehrter Herr Christian Schmidt,

am 2. Oktober, dem Tag, an dem die Wahlen in Bosnien und Herzegowina stattfanden, verkündeten Sie als der Hohe Repräsentant die Änderungen der Wahlgesetze der Föderation Bosnien und Herzegowinas nach Schließung der Wahllokale um 19:00 Uhr im Alleingang, dies veranlasst durch den politischen Einfluss der kroatischen Staatsführung. Mit Ihrer Entscheidung widersprechen Sie jeglicher freiheitlich-demokratischer Grundordnung. Ihr Vorgehen schadet nicht nur Bosnien und Herzegowina, sondern zugleich dem Ansehen des OHR, der Bundesrepublik Deutschland und somit ganz Europa, dessen Werte auf der freiheitlichen Demokratie und Menschenrechten basieren. Eigenwillige Änderungen des Wahlgesetzes ohne vorherige Bekanntgabe an die Bevölkerung und die Parlamente stellen einen Eingriff in die Verfassung der Föderation Bosnien und Herzegowinas dar und sind weltweit beispiellos. Die Tat ist in jeglicher Hinsicht mit den OSCERichtlinien unvereinbar.

Die Folgen des Handelns sind katastrophal und offensichtlich. Die Aktion behindert nicht nur das demokratische Gemeinwesen in seiner Gültigkeit, sie führt zu einer Ethnisierung und spaltet die Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina sowie darüber hinaus in der gesamten Diaspora. Das Handeln ist alleinig vorteilhaft für nationalistische Parteien, in diesem Fall für die HDZ BIH und ihren Vorsitzenden Dragan Covic, ohne die eine zukünftige Regierungsbildung nicht möglich ist.

In Folge dieser Entscheidung hat der Grazer Verfassungsexperte Joseph Marko, der selbst im bosnisch-herzegowinischen Verfassungsgericht gearbeitet hat, seine Einschätzung geäußert. Dieser ist der Ansicht, dass die Gesetzesänderungen von Schmidt eine Form des Gerrymanderings darstellen. Unter diesem Begriff versteht man in den USA die Manipulation von Wahlkreisgrenzen, um die eigenen Erfolgsaussichten zu erhöhen oder gar zu maximieren. Marko führt aus, dass „im Fall der Föderation nun zwar die Kantonsgrenzen nicht verändert” werden, “doch die Erhöhung der Anzahl der Vertreter geht zugunsten der Mandate für die großen ehtnonationalistischen Parteien.“

Somit profitieren der erwähnte Nationalist Dragan Čović und die HDZ BiH. Als Anlage eine Aufstellung, was dies in konkreten Zahlen bedeutet, dient das Beispiel des Kantons Herzegowina-Neretva in Bosnien und Herzegowina (Anlage1). Dementsprechend trägt die Stimme eines Kroaten vier mal mehr Gewicht, als die eines Bosniaken. Die Stimme eines Serben hingegen verfügt über zehnmal mehr Gewichtung, als die eines Bosniaken. Diese ungleiche Stimmengültigkeit verstößt gegen den Wahlrechtsgrundsatz der Gleichheit, der
neben denen der Allgemeinheit, Freiheit, Unmittelbarkeit, Öffentlichkeit und Geheimhaltung während der Bundestagswahl und Europawahl von Bedeutung ist. Um weitere Konsequenzen der falschen und untragbaren Entscheidung aufzuzeigen, ist das Beispiel des Kanton Tuzla zu erwähnen. Dort wird durch die Änderung des Wahlgesetzes die politische Repräsentanz eines Kroaten 3 Mal mehr und die eines Serben 34 Mal mehr als die eines Bosniaken gewichtet. In welchem europäischen Land oder humanistisch entwickeltem
Staat wäre solch eine Ungleichheit denkbar?

Die Änderungen des Wahlgesetzes verschärfen somit die ethnische Spaltung des Landes, favorisieren ethnisch-nationalistische Parteien und implementieren keines des Urteile des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (siehe Fall Sejdic/ Finci, Zornic, Pilav und weitere). Zudem erweitern die Änderungen das sogenannte „Prinzip der legitimen Repräsentation“. In der Resolution des Deutschen Bundestages mit dem Titel “Bosnien und Herzegowina beim Aufbruch in eine bessere Zukunft unterstützen” haben die Abgeordneten, jenes Prinzip abgelehnt und gemahnt, es sei zu verhindern, „dass eine alleinige Änderung des Wahlrechts ohne Änderung der Verfassung den Fortbestand der ethnischen Spaltung lediglich kaschiert oder gar diese fortschreibt bzw. verfestigt.” Bedauernswerter Weise haben Sie exakt solch eine Problematik mit Ihrer alleinigen Entscheidung verursacht.

Wir stimmen daher dem von verschiedenen (Euro-)Parlamentariern unterzeichneten Schreiben zu: „Das Mandat des OHR ist wohl die mächtigste und weitreichendste internationale Aufsichtsstruktur aller Länder der Welt. Die sogenannten Bonner Mächte können sich über demokratische Institutionen und Entscheidungen hinwegsetzen, wenn das OHR das Dayton-Abkommen als bedroht ansieht. Daher sollte der Inhaber dieses Mandats für ein großes Verantwortungsbewusstsein, Integrität, Verhältnismäßigkeit und Respekt gegenüber allen Menschen nationalen Institutionen und Bürgern sorgen. Abgesehen davon, drücken wir unsere tiefste Besorgnis über den Gebrauch der Bonner Befugnisse am Ende des Wahltages aus.“

Wir glauben daher, dass Sie als der Hohe Repräsentant Christian Schmidt mit Ihrem Handeln Ihre neutrale Stellung missachtet und das Vertrauen verspielt haben. Besonders mit der Entscheidung zeigen Sie Ihre parteiliche Einstellung gegenüber der HDZ BiH, mangelnde Sensibilität für Gerechtigkeit und darüber hinaus Ihr mangelndes Verständnis für die komplexe Situation in Bosnien und Herzegowina. Es stellt sich daher aus moralischer und demokratischer Sichtweise die Frage, ob Sie Herr Schmidt das verantwortungsvolle Amt noch ausüben können? Daher unsere Bitte und Appell an Sie Herr Christian Schmidt Ihre undemokratische, menschenrechtsverletzende Entscheidungen rückgängig zu machen so dass die Diskussion über die Wahlrechtsreform wieder dort stattfindet, wo sie hingehört, nämlich in die staatlichen Institutionen Bosnien und Herzegowinas sowie innerhalb der bosnisch-herzegowinischen Gesellschaft insgesamt.

Wir danken dem OHR, im Voraus für die bisherige Rolle bei der Unterstützung Bosnien und Herzegowinas in dem Reformprozess und der EU-Integration und bitten den OHR, Bosnien und Herzegowina in dieser Rolle auch in den kommenden Jahren zu unterstützen. Gebraucht wird ein ehrlicher und aufrichtiger Ansatz, mit dem sich das Land zu einem vollwertigen demokratischen Land entwickeln kann, mit einem modernen Staats-System, das ihm die Möglichkeit gibt, ein vollwertiges Mitglied der europäischen Familie zu werden.

Mit ausgezeichneter Hochachtung,

Amanet e.V. NRW
Dr. Edvin Destanovic

pangea netzwerk e.V.
Ahmed Spahic

In sana e.V
Amina Smajic
Rechtsanwältin

Alden Pervan
LLM (Master of Laws(

UDBK e.V
Osman Destanovic

Dr. Samir Smajic

Dr. Damir Smajlovic

BV Mitglied Dortmund Nord
Amir Aletic

 

Hier die gesamte Stellungnahme lesen

 

 

Über das pangea netzwerk

Das pangea netzwerk – Das deutsch-bosnische Netzwerk für Wirtschaft, Bildung und Akademie ist die größte Vereinigung seiner Art im deutschsprachigen Raum und vernetzt derzeit mehr als 250 engagierte Professionals, Akademiker und Studierende mit den unterschiedlichsten universitären Hintergründen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Hauptfokus des Netzwerks liegt dabei auf der Vernetzung von bosnisch-stämmigen Menschen mit dem Ziel der Vermittlung von Bildungschancen und beruflichen Perspektiven. Zudem dient das Netzwerk als Brückenbauer zwischen Bosnien und Herzegowina und Deutschland, Österreich und der Schweiz im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Sinne. Gleichzeitig setzt sich das Netzwerk als Sprachrohr für die europäische Perspektive Bosnien und Herzegowinas als zukünftiges vollwertiges Mitglied der Europäischen Union ein.