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Die folgende Stellungnahme wurde am 02. November 2023 an Marion Horn, Vorsitzende der BILD Chefredaktionen, Jakov Devčić, Interimsleiter des Auslandsbüros Bosnien-Herzegowina der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Gerhard Wahlers, stellv. Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung, Clauspeter Hill, stellv. Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie führende TV-und Printmedien im deutschsprachigen Raum gesendet.

 

Die Stellungnahme an die Vorsitzende der BILD Chefredaktionen, Marion Horn, ist im Folgenden im Wortlaut nachzulesen.

 

Als Netzwerk, das die Interessen der bosnisch-herzegowinischen Diaspora in Deutschland, Österreich und der Schweiz vertritt, möchten wir Bezug nehmen auf den in der Online-Ausgabe der BILD erschienenen Artikel unter dem Titel „Wird die Balkan- zur Terror-Route?“ der Autoren Peter Tiede und Liana Spyropoulou. Konkret geht es dabei um die Aussagen von Herrn Sven Petke, der im Artikel als Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sarajevo (Bosnien-Herzegowina) bezeichnet wird. Zunächst ist festzuhalten, dass Herr Petke nicht mehr Leiter der KAS in Sarajevo ist; es wäre eine journalistische Aufgabe herauszufinden, was zu der überraschenden Abberufung von Herrn Petke aus Sarajevo geführt hat.
Viel schwerwiegender ist jedoch das Narrativ, das Herr Petke und der gesamte Artikel bedient. Hierbei wird auf das vermeintliche Terror-Potenzial Bosnien-Herzegowinas hingewiesen mit dem Bezug auf europäische ISIS-Kämpfer. Zudem wird Bosnien-Herzegowina in dem Artikel durch den Verweis auf das österreichische Sicherheits-Institut AIES „als Einfallstor für den radikalen Islam auf dem Balkan und in Europa“ bezeichnet.

Screenshot 2023 11 02 122102 300x267 - Öffentliche Stellungnahme zum Bild-Artikel "Wird die Balkan- zur Terror-Route?"

Wir möchten Sie daher als Vorsitzende der BILD-Chefredaktionen auf einige Aspekte hinweisen, die in diesem Zusammenhang relevant sind, um nachzuvollziehen, warum dieses Narrativ seit Jahren ohne wirkliche Fakten und Daten in dem Raum gestellt wird, nur um eine vermeintliche Bedrohung durch die Länder des westlichen Balkans zu signalisieren. Denn im Artikel werden auch Staaten wie Albanien, Kosovo und Nordmazedonien und ihr Anteil von Muslimen an der Gesamtbevölkerung erwähnt, mit dem Hinweis, dass auch aus diesen Staaten „relativ viele Radikalisierte“ kommen würden.

Wir möchten Sie auf den Bericht des State Departments unter dem Titel Country Reports on Terrorism 2018 hinweisen, der im Oktober 2019 veröffentlicht wurde. In dem Bericht wird unter anderem darauf hingewiesen, dass Bosnien-Herzegowina Mitglied der Globalen Allianz zur Bekämpfung von des sog. Islamischen Staates ist und dass es 2018 keine terroristischen Vorfälle in Bosnien und Herzegowina gab. Zudem wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass das Parlament von Bosnien-Herzegowina im Mai 2018 Änderungen des Strafgesetzbuchs verabschiedet hat, mit denen die Mindeststrafe für bestimmte terroristische Handlungen von fünf auf acht Jahre angehoben wurde.
In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass Bosnien-Herzegowina im Jahre 2014 als erstes Land in Europa Freiheitsstrafen von bis zu 10 Jahren für seine Bürger eingeführt hat, die sich im Ausland an Konflikten beteiligen oder andere für diese rekrutieren. Terroristische Kämpfer, die seitdem in das Land zurückgekehrt sind, wurden vor Gericht gestellt und in den meisten Fällen zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Auch die Zahlen des bosnisch-herzegowinischen Geheimdienstes sprechen eine gegenteilige Sprache. Demnach verließen 2012-2016 241 Erwachsene und 80 Kinder Bosnien-Herzegowina oder die bosnische Diaspora, um nach Syrien und in den Irak zu ziehen, wo 150 weitere Kinder geboren wurden. Etwa 100 Erwachsene, etwa die Hälfte davon Frauen, sind vor Ort geblieben, mindestens 88 wurden getötet oder sind gestorben.

Leider sind die Anschuldigungen und Narrative in diesem Artikel als eine Fortsetzung einer Kampagne gegen Bosnien-Herzegowina zu verstehen, welche unter anderem die ehemalige kroatische Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović in ihrer Amtszeit einleitete. Sie sagte damals, es bestehe die Gefahr, dass 10.000 potenzielle Terroristen vom syrischen Schlachtfeld nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren könnten. Eine weitere Aussage in diesem Zusammenhang war, dass sich der Islam in Bosnien-Herzegowina radikalisiert hätte. Des weiteren behauptete Grabar-Kitarović bei ihrem Staatsbesuch in Israel im Jahr 2019, Bosnien-Herzegowina wäre von Menschen mit Verbindungen mit dem Iran und Terrororganisationen übernommen worden. In die gleiche Kerbe schlug Ende 2019 der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der in einem Interview in der englischsprachigen Wochenzeitung The Economist behauptete, Bosnien-Herzegowina sei eine “Zeitbombe, die sich direkt neben Kroatien befindet und mit dem Problem der Rückkehr von Dschihadisten konfrontiert ist“.

All diese Behauptungen sind unbegründet, faktisch falsch und richten einen erheblichen Schaden an. In diesem Zusammenhang ist auch die im Frühjahr 2019 entdeckte Affäre des kroatischen Geheimdienstes SOA zu nennen, die bewiesenermaßen bosnisch-herzegowinische Staatsbürger, die zu der Zeit in Kroatien gelebt und gearbeitet haben, versucht haben zu rekrutieren, um erhebliche Mengen an Waffen und Munition in Moscheen in Bosnien-Herzegowina zu platzieren – eine klassische False-Flag Operation.
Zudem sprechen die genannten Fakten klar gegen die in dem Artikel aufgestellten Behauptungen und stellen diese in einen Kontext negativer, nicht belastbarer und schlichtweg falscher Aussagen über Bosnien-Herzegowina. Wir möchten Sie auch darauf hinweisen, dass gerade solche Aussagen Wasser auf die Mühlen rückwärtsgewandter Politiker sind, welche die Aggression gegen Bosnien-Herzegowina von 1992 bis 1995 bis heute nicht bei dem richtigen Namen nennen wollen, den Genozid von Srebrenica im Juli 1995 leugnen und an einer gemeinsamen Zukunft aller ethnischen und religiösen Gruppen des Landes nicht interessiert sind. Zusätzlich wird die gesamte Region des westlichen Balkans als Einfallstor für mutmaßliche Terroristen diffamiert. Dies kann die ohnehin angespannte Situation auf dem westlichen Balkan weiter verschärfen und mögliche EU-Aspirationen der Westbalkan-Staaten weiter nach hinten werfen.
Journalisten tragen hierbei eine besonders verantwortungsvolle Rolle, keine Stigmata und Narrative zu reproduzieren, die Wasser auf den Mühlen der neuen Rechten in ganz Europa, aber auch in Deutschland darstellen. Vielmehr müsste die Aufgabe sein, eine konstruktive Rolle bei der Integration des westlichen Balkans in die EU-Staatengemeinschaft zu spielen – und nicht gegenteilige Effekte durch unbedachte Aussagen auszulösen. Auch die Bürger*innen der genannten Staaten entfremden sich durch solche Aussagen von der EU; ein fatales Signal in Zeiten der russischen Aggression gegen die Ukraine.

Wir würden uns freuen, wenn wir in einem gemeinsamen Gespräch darüber sprechen könnten, wie man die europäische Perspektive Bosnien-Herzegowinas und des gesamten westlichen Balkans auch durch journalistische Arbeit unterstützen könnte.

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung.

Mit freundlichen Grüßen

Ahmed Spahić
Vorstandsvorsitzender des pangea netzwerks

 

Anbei die Stellungnahmen als PDF zum Download

 

 

Über das pangea netzwerk

Das pangea netzwerk – Das deutsch-bosnische Netzwerk für Wirtschaft, Bildung und Akademie ist die größte Vereinigung seiner Art im deutschsprachigen Raum und vernetzt derzeit mehr als 250 engagierte Professionals, Akademiker und Studierende mit den unterschiedlichsten universitären Hintergründen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Hauptfokus des Netzwerks liegt dabei auf der Vernetzung von bosnisch-stämmigen Menschen mit dem Ziel der Vermittlung von Bildungschancen und beruflichen Perspektiven. Zudem dient das Netzwerk als Brückenbauer zwischen Bosnien und Herzegowina und Deutschland, Österreich und der Schweiz im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Sinne. Gleichzeitig setzt sich das Netzwerk als Sprachrohr für die europäische Perspektive Bosnien und Herzegowinas als zukünftiges vollwertiges Mitglied der Europäischen Union ein.