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Bosanski

„Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden.” Das sind die Worte des berühmten deutschen Philosophen Johann Wolfgang von Goethe. Die falsche Politik in Bosnien und Herzegowina hat ein System geschaffen, in dem Bildung nicht mehr „anziehend” erscheint. Der Grund dafür ist der Überfluss an Personal, der am Arbeitsmarkt Bosnien und Herzegowinas nicht benötigt wird, und in der Gesellschaft als wertlose Investition klassifiziert wird. Auf der anderen Seite aber steuert die Kohäsionspolitik der EU maßgeblich zur Wissenserweiterung und zum Ausbau von Fertigkeiten unter der Bevölkerung bei, was der Schlüssel einer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit Europas ist.

Autor: Lejla Đuderija, Poslovni Svijet

 

 

Vor diesem Hintergrund verlassen zahlreiche Wissensdurstige und jene, die sich nach einer besseren Zukunft sehnen, das Land, um in den Staaten der EU einer Ausbildung nachzugehen.

 Was die Gründe hierfür sind, haben wir Dr. Prof. Damir Marjanović, einen der renommiertesten Wissenschaftler Bosnien und Herzegowinas, und Danja Bajtarević, der leitenden Direktorin der Blue Global Agentur, deren Fokus auf Themen wie Auslandsstudium, Bildungsreisen, Praktika und Migrationsfragen liegt, gefragt.

„Vielleicht wird die Antwort einige überraschen, aber ich bin der Meinung, dass es unserem Hochschulsystem in erster Linie an Flexibilität, Visionen und dem Wunsch nach Veränderung mangelt. An den meisten Universitäten finden sich noch immer veraltete Studienrichtungen und Studienverlaufspläne, die nur in den seltensten Fällen an die heutige Zeit angepasst sind.

Stellen Sie sich einen Professor der Studienrichtung Genetik vor, der seine Vorlesungen anhand von 15 oder 20 Jahre alten Büchern aufbaut – das funktioniert natürlich nicht. Grundsätzlich fehlt es an realistischen Regelungen zur Studienaufnahme und einer realistischen Bildungspolitik im Bereich der Ausbildung, wobei man auf diesen Teil der akademischen Gesellschaft sowieso schwer Einfluss haben kann. Nichtsdestotrotz ist eine Umgestaltung der Studienpläne durchführbar und notwendig“, meint Professor Marjanović.

Auf der anderen Seite kann Danja Bajtarević aus eigener Erfahrung behaupten, dass es den Universitäten in Bosnien und Herzegowina an Auswahlmöglichkeiten für verschiedenste Programme fehlt.

„Die Ausbildung in Bosnien und Herzegowina hat sich bestimmt seit 25 Jahren qualitativ nicht mehr geändert. Außerdem gibt es, insofern man sich nicht für eine Hochschule interessiert, keine große Auswahl zur Weiterbildung auf staatlicher Ebene, wie es zum Beispiel in Australien der Fall ist, wo die Möglichkeit besteht, spezifischen Weiterbildungsprogrammen (VET) nachzugehen. Darüber hinaus ist die Ausstattung an unseren Universitäten veraltet und kommt den modernen Technologien nicht nach – genauso wie es bei unseren Lehrplänen der Fall ist.

Diese Tatsache wirkt sich auch auf die Studierenden aus, da ihnen nicht ausreichend gute Möglichkeiten angeboten werden, um ihr Wissen auch praktisch umsetzen zu können. Außerdem arbeiten die Universitäten nur mäßig mit Unternehmen zusammen und kennen somit den Bedarf am Arbeitsmarkt nicht.“

Ob die Zeugnisse der bosnisch-herzegowinischen Universitäten anerkannt werden, ist weiterhin eine aktuelle Frage, besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse und der Nicht-Aufnahme der staatlichen Agentur für die Entwicklung des Hochschulwesens und der Qualität in Bosnien und Herzegowina  als Vollmitglied des Europäischen Verbandes für Qualitätssicherung im Hochschulbereich (ENQA). Laut der zuständigen staatlichen Agentur ist die Gültigkeit eines Abschlusses der Universitäten in Bosnien und Herzegowina nicht gefährdet.

Ob das wirklich so ist und ob die Abschlüsse in der EU anerkannt werden, haben wir Dr. Prof. Marjanović gefragt. „Diese Frage kann nur von den Dekanen, Rektoren und Professoren eben jener Universitäten beantwortet werden, deren Abschlüsse nicht in diesen Ländern anerkannt werden.
Die systematische Lösung dieses Problem ist aber auf den ersten Blick einfach: Ein starkes System zur Akkreditierung auf staatlicher Ebene, das die akademische Gemeinschaft im ganzen Land unterstützt. Leider existiert so etwas in dieser Form nicht, da sich einige „Experten” in politische und akademische Kreise zurückgezogen haben. Eine solche Situation bringt ihnen Vorteile, da nicht die Qualität, sondern die Partei an erster Stelle steht.

Damit andere Länder uns und unsere Universitätsabschlüsse ernst nehmen, gibt es zum Filtermodell und zur strengen Auswahl der Besten am akademischen Markt einfach keine Alternative.”

Die Gültigkeit der Universitätsabschlüsse in Bosnien und Herzegowinas ist auch ein Argument, warum eine große Zahl von Studierenden ihr Studium in anderen Staaten Europas und der Welt erfolgreich fortsetzen.

„Studierende suchen möglicherweise nicht nach so viel Wissen, wie viel ihnen angeboten wird! Man muss die Zahl der jungen Menschen mit eher niedrigen Stipendien beachten, die beispielsweise aus der Region Krajina nach Maribor oder Ljubljana zum Studieren gezogen sind oder sogar in anderen Universitäten weit westlicher von zu Hause angefangen haben. Die Passivität unserer Universitäten, vor allem der staatlichen, und das Warten, bis sich ein Studierender von selbst einschreibt, weil er entweder gezwungen ist oder nirgendwo anders die Möglichkeit hat, führte dazu, dass westliche Staaten, die durch die gleiche demographische Krise gehen wie wir, diese aufnehmen und uns die wichtigste Ressource wegnehmen – nämlich junge Menschen!

Fall Sie glauben, dass ich diesen Ländern die Schuld gebe, dann täuschen Sie sich. Versetzen Sie sich in die Lage von Slowenien oder Österreich, die die Möglichkeit haben, junge und intelligente Menschen aus Bosnien und Herzegowina mit kleinen finanziellen Mitteln anzuziehen.

Stellen Sie sich weiter eine junge Bevölkerung vor, die eine neue Generation von Arbeitern und Steuerzahlern schaffen wird. Wenn Sie sich das nun gut vorgestellt haben, müssen Sie verstehen, dass Bosnien diese jungen Menschen nur als Rohstoff exportiert. Deshalb wird dieses „Land der Alten” in den nächsten 20 bis 30 Jahren, insofern sich nicht etwas dramatisch ändert, schließlich mitsamt seiner Kantone, Entitäten, konstitutiven und nicht konstitutiven Bürgern, zum Scheitern verurteilt sein”, betont Prof. Marjanović.

Diejenigen, die theoretisch in der Lage wären, etwas zu verändern, sogar verändern müssten, gehen dieser Pflicht nicht nach, da es in der Folge zu einer Stärkung des akademischen Aktivismus kommen könnte und das offensichtlich nicht in ihrem Interesse liegt. In der Zwischenzeit entscheiden sich diejenigen, die mehr wollen, für Länder, in denen Bildung geschätzt und auch adäquat belohnt wird.

Zum Schluss folgt ein Ratschlag von Prof. Marjanović für alle Studierenden, die in einem der EU-Staaten studieren und wissen wollen, welche Faktoren dabei zu bedenken sind:

„Ihr müsst Rücksicht nehmen auf euch selbst, eure Gesundheit, eure Möglichkeiten, die Sprache, den Beruf und auch auf die Tatsache, dass es nicht genügt, schlicht und einfach wegzuziehen, um einen Abschluss zu erlangen. Studieren bzw. Lernen ist nicht einfach. Noch schwerer ist es, das Ganze in einem neuen Umfeld zu tun. Studierende müssen sich ihr Ziel immer vor Augen halten und fleißig sein, denn am Ende muss man für sich selbst sorgen.

Falls Sie erwartet haben, dass ich mehr über die administrativen Herausforderungen in einem fremden Land sprechen werde, haben Sie sich erneut getäuscht. Das stellt nicht wirklich das eigentliche Problem dar. Manchmal glaube ich sogar, dass es schwieriger ist, in einer Universität in Bosnien das Studienfach zu wechseln, als einen Abschluss in einem entfernten Land  anerkennen zu lassen. Für diejenigen, die ihr Studium in Bosnien und Herzegowina beginnen und anschließend in das Ausland gehen wollen, besteht nur ein brauchbarer Ratschlag. Wählt euch gezielt und gründlich eine Universität aus, denn nicht alle sind gleich.”

 


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