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Als Netzwerk, das die Interessen der bosnisch-herzegowinischen Diaspora in Deutschland vertritt, möchten wir Bezug nehmen auf das Ergebnispapier der Sondierungsgespräche zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie den Freien Demokraten zur Bildung der neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die 20. Legislaturperiode.

 

Mit Interesse haben wir dabei das Ergebnispapier der Sondierungsgespräche gelesen. Bei der Analyse des Papiers haben wir Inhalte gefunden, die wir als pangea netzwerk e.V. stark befürworten. Leider vermissen wir auch einige aus unserer Sicht zentrale Inhalte einer zukünftigen Bundesregierung, auf die wir im Folgenden aufmerksam machen möchten. Dabei werden wir jeweils Bezug nehmen auf die formulierten Thesen in dem Ergebnispapier der Sondierungsgespräche.

Die Stellungnahme haben folgende Personen erhalten:

SPD

Bündnis 90/ Die Grünen

FDP

Die öffentliche Stellungnahme im Wortlaut – Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD

Sehr geehrter Herr Scholz,

zunächst einmal möchte ich Ihnen zum Wahlergebnis vom 26. September 2021 gratulieren. Auch gratuliere ich Ihnen zu den erfolgreichen Sondierungsgesprächen zwischen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie den Freien Demokraten zur Bildung der neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die 20. Legislaturperiode.

Mit Interesse haben wir dabei das Ergebnispapier der Sondierungsgespräche gelesen. Bei der Analyse des Papiers haben wir Inhalte gefunden, die wir als pangea netzwerk e.V. stark befürworten. Leider vermissen wir auch einige aus unserer Sicht zentrale Inhalte einer zukünftigen Bundesregierung, auf die wir im Folgenden aufmerksam machen möchten. Dabei werden wir jeweils Bezug nehmen auf die formulierten Thesen in dem Ergebnispapier der Sondierungsgespräche.

Zu Punkt 10. Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt

In Ihrem Ergebnispapier ist der Punkt bzgl. Deutschlands Rolle in Europa und der Welt der letzte aufgeführte Punkt. Für uns ist dieser Punkt der zentrale Punkt, den wir in den Fokus dieses Schreibens legen möchten. Wir sehen, ähnlich wie im Ergebnispapier formuliert, die Herausforderung, dass keine große Aufgabe in der heutigen Zeit alleine von einem Staat gelöst werden kann. Sie schreiben, die EU sei „kein fernes Zukunftsprojekt, sondern längst tagtägliche Realität und Heimat, nicht zuletzt für die Jugend Europas, die ohne Grenzen aufgewachsen ist.“ Dies ist aus unserer Sicht nur teilweise zutreffend, da wir als pangea netzwerk Europa nicht ohne den Westlichen Balkan verstehen. Die Länder des Westlichen Balkans, die aktuell noch nicht in der Europäischen Union sind, die sog. WB6-Länder Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nord-Mazedonien sowie Serbien, liegen im Herzen Europas. Für die Jugend dieser Länder ist die EU leider immer noch ein fernes Zukunftsprojekt, vielleicht ferner denn je, wenn man sich die aktuelle Situation insbesondere in Bosnien und Herzegowina vor Augen führt. Wir würden uns ein klares Statement zur Erweiterung der Europäischen Union wünschen, idealerweise mit einem klaren Fahrplan, wann und, vielleicht noch wichtiger, auf welche Art und Weise dies passieren sollen.

Im Kontext von Bosnien und Herzegowina waren wir als deutsch-bosnisches Netzwerk voller Zuversicht, dass die Berufung von Herrn Christian Schmidt als Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina ein Signal für ein stärkeres Engagements Deutschlands in Bosnien und Herzegowina sein würde. Bisher hat sich dies nicht bewahrheitet. Herr Schmidt lässt radikale Aussagen von Milorad Dodik, Mitglied des Präsidentenamtes von Bosnien und Herzegowina, unkommentiert und lässt somit das nationalistische Feuer in Banja Luka, Belgrad, aber auch Mostar und Zagreb, wieder aufflammen. Schwer errungene Fortschritte wie eine Armee auf Staatsebene, die Schaffung einer Vielzahl zentraler Institutionen auf Staatsebene sollen zunichte gemacht werden. Dies muss verhindert werden, insbesondere wenn Herr Schmidt die Mittel dafür in den Bonner Befugnisse (Bonn Powers) hat. Aktuell lässt er diese, wie er sagt, „verschlossen in der Schublade“, obwohl das Land in der größten Krise seit dem Friedensabkommen von Dayton steckt. Andere Hohe Repräsentanten wie Paddy Ashdown haben zu ihrer Zeit mehr als 50 Politikerinnen und Politiker für Vergehen abgesetzt, die heute im Vergleich zu den Aussagen von Milorad Dodik lächerlich erscheinen.

Zudem sollte viel deutlicher das Scheinwerferlicht auf die tatsächlichen Probleme in Bosnien und Herzegowina gerichtet werden, auf rückwärtsgewandte und nationalistische Politiker, die die Aggression gegen Bosnien und Herzegowina von 1992 bis 1995 bis heute nicht bei dem richtigen Namen nennen wollen, den Genozid von Srebrenica im Juli 1995 leugnen und an einer gemeinsamen Zukunft aller ethnischen und religiösen Gruppen des Landes nicht interessiert sind. Diese Politikerinnen und Politiker schüren erneut Hass und lassen das nationalistische Feuer in ihren Anhängern lodern.
Deutschland hat als Garant des Friedensabkommens von Dayton auch in diesem Fall eine verantwortungsvolle Rolle, die territoriale Integrität und Souveränität Bosnien und Herzegowinas zu schützen und gemeinsam mit seinen europäischen und transatlantischen Partnern an konstruktiven Lösungen zu arbeiten – und nicht gegenteilige Effekte durch unbedachte Aussagen auszulösen.

Neben dem klaren Bekenntnis bzgl. der Erweiterung der Europäischen Union vermissen wir einen weiteren wichtigen Punkt – die Reformierung der Entwicklungspolitik Deutschlands. Konkret meinen wir hiermit die Ermöglichung der Förderung von Aktivitäten in der Diaspora durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit – GIZ. Aktuell ist die Förderung leider nur für eine bestimmte Anzahl von Ländern möglich, Bosnien und Herzegowina befindet sich nicht auf der Liste der Partnerländer, obwohl Länder wie Albanien, Kosovo und Serbien dort zu finden sind. Wir hoffen, dass sich dies für Folge-Projekte ändern wird. Insgesamt sehen wir im Kontext der Entwicklungspolitik einen klaren Handlungsbedarf, um die Entwicklungspolitik fit für das 21. Jahrhundert zu machen und die Entwicklungspolitik nicht nur über NGOs in den Heimatländern zu organisieren, sondern auch Diaspora-Organisationen in diese wichtige Arbeit miteinzubeziehen.

Zu Punkt 8. Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie

Mit Freude haben wir die unter diesem Punkt zusammengefassten Inhalte gelesen. Auch wir sehen Deutschland als ein „modernes Land, mit großer Vielfalt der Gesellschaft, in der unterschiedliche Lebensentwürfe, Lebensumstände und Herkunftsgeschichten zusammenkommen.“ Auch sehen wir als Verein, der Menschen mit einem bosnisch-herzegowinischen Hintergrund verbindet, Vielfalt als Chance, da wir unabhängig von ethnischer, religiöser oder einer anderen Zugehörigkeit Menschen miteinander verbinden, die eine gemeinsame Herkunft und eine gemeinsame Vorstellung der Zukunft ihres Herkunftslandes Bosnien und Herzegowina haben.

Aus unserer Sicht muss sich die aktuelle Rechtsordnung an die oben geschilderten gesellschaftlichen Realitäten anpassen. In dem Kontext des pangea netzwerks meinen wir damit insbesondere das Staatsangehörigkeitsrecht. Aktuell müssen bosnisch-herzegowinische Staatsbürger weiterhin ihre Staatsbürgerschaft ablegen, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen möchten. Dies ist der Fall, obwohl die Optionspflicht für Kinder und Jugendliche, die nach 2000 geboren wurde, abgeschafft wurde. Wir sehen eine Regulierung dieser Thematik als unser zentrales Anliegen, da wir weiterhin Tausende jährlich zwingen, sich zwischen zwei Staatsangehörigkeiten zu entscheiden, obwohl diese beiden Identitäten eng miteinander verwoben sind. Unser Vorschlag ist daher die Schließung eines Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bosnien und Herzegowina, um eine doppelte Staatsbürgerschaft zwischen diesen beiden Ländern zu ermöglichen. Ein solches Abkommen besteht beispielsweise bereits zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Schweden. Zudem ist eine doppelte Staatsbürgerschaft für Bürgerinnen und Bürger der EU-Staaten sowie der Schweiz bereits heute möglich. Wir sehen hier die Chance, diese Ungleichheit zu beseitigen und vielen Tausenden die Rückkehr in ihre ursprüngliche bosnisch-herzegowinische Staatsbürgerschaft zu ermöglichen.

Wir hoffen, dass sich dieser Input in den anstehenden Koalitionsgesprächen wiederfinden wird, da sie aus unserer Sicht auch zentrale Prioritäten der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Gerne stehen wir für weiterführende Gespräche zur Verfügung und blicken gespannt in eine Zukunft, für welche, wie Sie im Ergebnispapier einleiten, „die nächsten Jahre entscheidend […]“ sind, „um Deutschland und Europa zu stärken.“

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung.

Mit freundlichen Grüßen

 

Ahmed Spahić

Vorstandsvorsitzender des pangea netzwerks

Über das pangea | netzwerk

Das pangea netzwerk – Das deutsch-bosnische Netzwerk für Wirtschaft, Bildung und Akademie ist die größte Vereinigung seiner Art im deutschsprachigen Raum und vernetzt derzeit mehr als 150 engagierte Professionals, Akademiker und Studierende mit den unterschiedlichsten universitären Hintergründen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Hauptfokus des Netzwerks liegt dabei auf der Vernetzung von bosnisch-stämmigen Menschen mit dem Ziel der Vermittlung von Bildungschancen und beruflichen Perspektiven. Zudem dient das Netzwerk als Brückenbauer zwischen Bosnien und Herzegowina und Deutschland, Österreich und der Schweiz im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Sinne. Gleichzeitig setzt sich das Netzwerk als Sprachrohr für die europäische Perspektive Bosnien und Herzegowinas als zukünftiges vollwertiges Mitglied der Europäischen Union ein.