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Edin Hasanovic, deutscher Schauspieler mit bosnischen Wurzeln hat die Goldenen Kamera als Bester Nachwuchsschauspieler 2016 gewonnen. Für Pangea spricht er über das Geschehene am vergangenen Samstag, seinen Weg vom Flüchtling zum gefeierten Schauspieler und über seine Sicht auf Bosnien.

Zu Beginn die Frage, die alle interessiert: ist die Goldene Kamera noch heil? Thomas Gottschalk hatte während deiner Dankesrede große Bedenken, dass die Goldene Kamera noch all zu lange im ursprünglichen Zustand bleiben würde.

Edin: Ich hoffe doch, dass sie intakt ist, sie wurde durch viele Hände gegeben und muss heute noch von Verwandten inspiziert werden. Danach wird sie sauber gemacht und geht in die Vitrine zu Mama, dort, wo die anderen Preise stehen.

Konntest du die Eindrücke vom vergangenen Samstag verarbeiten – wie fühlt es sich einige Tage später an?

Edin: Geht so, ich bin mega im Rausch, ganz viele Nachrichten prasseln tagtäglich auf mich ein, die Nachricht über den Preis wird von Leuten wie Felix Sturm oder Organisationen, wie es das Netzwerk ist, geteilt. Ich schlafe mit dem Gedanken ein und wache damit auf. Es ist heavy, was gerade passiert, so richtig zur Ruhe gekommen bin ich noch nicht. Ich habe vorhin auf dem Weg zu einem Interview zum ersten Mal wieder Musik gehört, meine Verwandten habe ich noch gar nicht gesehen, meine Mutter nur ganz kurz. Ich stehe unter den Eindrücken, ich muss aber aufpassen, dass ich den Abend nicht erinnere bezüglich seiner Wirkung was gerade hier passiert. Was ich empfinde, wenn ich die Bilder und Videos dazu sehe. Vielmehr muss ich versuchen, das Gefühl vom Abend in Erinnerung zu behalten.

“Der Preis kommt zur richtigen Zeit” sagst du während deiner Dankesrede. Was meinst du damit genau und was kann dieser Preis für deine Zukunft als Schauspieler bewirken?

Edin: Ich habe seit Juni nicht gedreht, war gesundheitlich etwas angeschlagen, habe viel abgesagt, und dann kommt dieser Preis. Ich mache das Ganze jetzt seit knapp zwölf Jahren, und dann kommt so eine Bestätigung und du denkst dir “Ja, Mann, du bist richtig hier, der Beruf ist das Richtige für dich”, das ist ein super Gefühl, wenn man bedenkt, dass die Goldene Kamera eine der größten Auszeichnungen der deutschen Filmindustrie darstellt.

Als Wirkung des Preises wünsche ich mir in erster Linie die Akzeptanz in der bosnischen Community, weil sie doch etwas schwierig ist, wenn es um das Berufsfeld Schauspieler geht. Viele Bosnier können diesen Beruf nicht ernst nehmen, weil sie sich unter dieser Art der Kunst nichts vorstellen können und die Erfolge dementsprechend nicht würdigen, im Gegensatz zu greifbaren Tätigkeiten anderer Bosnier im Boxen oder im Fußball, wo Erfolge anerkannt und gewürdigt werden. Auch hoffe ich durch den Preis einen Film in Bosnien oder generell auf dem Balkan drehen zu dürfen und in meiner Sprache einer Rolle zu interpretieren. Ich will einfach Filme machen, denn ich mache das nicht, um berühmt zu werden, sondern weil ich es liebe.

Während deiner Dankesrede hast du erwähnt, dass du während des Bosnien-Kriegs 1992 als Flüchtling nach Deutschland gekommen bist. Wie bist du zu dem Edin Hasanovic geworden, der am Samstag als Bester Nachwuchsschauspieler 2016 geehrt wurde – was waren die Meilensteine auf diesem Weg für dich?

Edin: Wow, was für eine Frage, das muss ich erstmal nachdenken. Also erstmal meine Mama und meine Umstände haben mich extrem geprägt, das Aufwachen in Flüchtlingsheimen bis zur 4. Klasse. Generell hat mich meine Familie, vor allem Präsidentin Mama, zu dem gemacht, der ich heute bin. Meiner Mama war es sehr wichtig, dass ich nicht einfach herumlaufe und draußen nach Problemen suche, sondern meine Zeit sinnvoll ausnutze. Dazu zählt der Besuch der Koranschule und der bosnischen Schule im Rahmen des Islamischen Kulturzentrums Berlin (IKZ Berlin), ich habe Karate gemacht und war in der Schule auch immer gut, meiner Mama war es einfach wichtig, dass ich keinen Mist baue. Meine Umstände damals nach der Ankunft hatten auch großen Einfluss auf meine Entwicklung, der unsichere Status nach der Ankunft in Deutschland. Meine Mama hat besonders nach dem Verlust meines Vaters ihre Verlustängste auch auf mich übertragen und hat sich an mich geklammert, inzwischen konnte ich mich davon lösen, aber die Sorge, neben ihrem Mann auch noch ihren Sohn verlieren zu können, war sehr groß und hat mein Verhältnis zu meiner Mutter sehr geprägt.

Neben meiner Familie und den Umständen hat mich auch das Islamische Kulturzentrum in Berlin unter der Leitung von Advan Ljevakovic, dem Vorbeter der Gemeinde, in vielerlei Hinsicht sehr stark geprägt. Herr Ljevakovic zählt heute zu einem meiner größten Unterstützer, den ich vor der Entscheidung, mich mit der Schauspielerei zu beschäftigen, bezüglich der Vereinbarkeit von Schauspiel und Religion befragt habe und der mich seitdem auf meinem Weg unterstützt. Beispielsweise habe ich meine erste Gage als Schauspieler damals dem IKZ gespendet, der Draht zu dieser Institution ist ein ganz Besonderer. Wie bereits oben erwähnt, gibt es aber auch Leute, denen Schauspiel sehr fremd ist, weil sie nie wirklich damit in Berührung gekommen ist, es ist einfach nicht so greifbar für diese Menschen. Die negativen Kommentare der Leute haben mich aber noch stärker, noch souveräner gemacht und im Endeffekt auch den Teil zu dem Edin von heute beigetragen.

Aber auch die Tatsache, dass ich ab meinem 12. Lebensjahr angefangen habe als Schauspieler zu arbeiten, angefangen habe, Verantwortung zu übernehmen, mit Gewissenheit und Disziplin die Aufgaben zu erledigen, tagtäglich mit den Reaktionen der Zuschauer umzugehen und aus Kritik zu lernen, war sehr wichtig für meine Entwicklung. Und meine Freunde nicht zu vergessen, die müssen auch erwähnt werden.

Welche Rolle spielt Bosnien für dich? Wie oft bist du vor Ort?

Edin: Ich bin so oft in Bosnien, wie es mir meine Zeit zulässt, normalerweise einmal im Jahr, vorzugsweise im Sommer für zwei oder drei Wochen. Ich war einmal im Winter in Bosnien und ich muss sagen, dass mir die Winter hier in Deutschland deutlich besser gefallen. Dort bin ich dann entweder in Klisa in der Nähe von Zvornik, wo mein Vater herkommt, oder in Sapna bei Tuzla, wo meine Mutter zuhause ist. Bosnien bedeutet für mich Batterien aufladen, besonders der Moment, wenn man zum ersten Mal in Bosnien aus dem Auto steigt und tief einatmet, spürt man diesen speziellen Geruch, in dem alles verschmilzt: die Mentalität, die Kultur, die Tradition und der Alltag in Bosnien. Dort kann ich meine Seele und mein Herz wieder auf Ruhemodus stellen.

Auch bosnische Musik oder bosnischer Tanz sind unersetzliche Punkte für mich, wenn du beispielsweise hier in Berlin nach “Edo Glumac” (Edin, der Schauspieler) und bosnischem Tanz fragst, dann wissen die Leute, wer gemeint ist. Meiner Mutter war es sehr wichtig, dass ich die Kultur und die Sprache nicht vergesse. Ich kann mich zwar rhetorisch nicht so ausdrücken wie auf deutsch, aber das Gespräch gerade hier mit euch ist sehr entspannt, was das angeht, weil ich nicht überlegen muss, ob ich deutsch oder bosnisch reden muss. In den Interviews der letzten Tage, die ich auf bosnisch geführt habe, habe ich deutlich mehr geschwitzt, weil ich mich richtig ausdrücken wollte, damit meine Message klar rüberkommt. Ich werde da aber in der kommenden Zeit wieder verstärkt bosnische Bücher lesen, um den Flow im Bosnischen zu bekommen.

Neben all diesen Dingen gibt es aber Dinge, die mich an Bosnien nerven. Themen wie Korruption, selbst in einem Moment, wo man es nicht erwarten würde (nach einer Blinddarm-OP, die ich 2005 in Bosnien hatte), das macht einen wütend. Man fragt sich dann, wofür mein Vater und all die anderen Menschen damals gefallen sind. Wir müssen aber verstehen, dass wir in der Zeit, in der wir in Bosnien sind, nicht so viel am Leben in Bosnien verändern können, wir sind dort nur eine oder zwei Wochen und versuchen, unser Leben aus Deutschland dort zu führen und das System aus Deutschland nach Bosnien zu bringen. Das klappt nicht. Wir müssen akzeptieren, dass wir den Menschen in Bosnien damit nicht helfen können.

Was kann deine, unsere Generation tun, um diese Lage zu verändern?

Edin: Ich habe das Gefühl, dass manche Muster, Modelle, Maßstäbe oder Ansichten in Bosnien veraltet sind – wenn wir uns trauen, modern zu leben, aber gleichzeitig unsere Kultur und Tradition nicht zu vergessen, würden wir einen Schritt nach vorne machen. Mich stört aber auch die Opferrolle, in die sich Bosnien ständig begibt. Ich selbst habe meinen Vater verloren und ich habe nie gesagt “Ich kann das und das aber nicht erreichen, ich bin ohne Vater aufgewachsen”. Das darf keine Rolle spielen, kämpf´ mit all dem, was du hast. Bosnien wurde durch den Krieg mehrere Jahrzehnte in die Vergangenheit geworfen, wird in den nächsten 10 oder 20 Jahren nicht in der Europäische Union sein, alles schwierige Voraussetzungen, aber die ganze Zeit in Mitleid zu schwimmen und in diesem auch zu ertrinken, das ist leider auch falsch.

Ich finde es gut, wenn Menschen kämpfen, wenn Menschen Ziele haben, große Ziele, die wir nicht den Umständen anpassen. Hätte ich meine Ziele den Umständen angepasst, dann wäre ich nicht da, wo ich Samstag gestanden habe. Mein Talent und die Art und Weise, wie ich dieses Talent einsetze, hat wenig mit Umständen zu tun, die vor meiner Zeit passiert sind. Dass meine Mutter das erlebt hat, ist ganz schlimm, klar, aber ich versuche mich davon zu lösen, dass ihre Sicht auf manche Dinge nicht gleich meiner Sicht auf diese Dinge ist. Wir leben hier ein anderes Leben, ich lebe in Deutschland und versuche, Bosnien nicht zu vergessen. All das sind Gedanken, die einen Prozess darstellen, ich bin noch ziemlich jung und bin gespannt, wie sich meine Ansichten meinen Erfahrungen mit der Zeit anpassen werden. Es freut mich immer, mit Gleichgesinnten, wie ihr es seid, darüber zu reden und andere Meinungen zu hören.

Wenn wir uns trauen, modern zu leben, aber gleichzeitig unsere Kultur und Tradition nicht zu vergessen, würden wir einen Schritt nach vorne machen.

Nochmal zurück zu dem Thema Bosnien und Film – was würdest du sagen, wenn dich morgen Danis Tanovic, Oscar-Preisträger aus Bosnien und Herzegowina, anruft und dir eine Rolle in seinem Film anbieten würde?

Edin: Das ist gar nicht so weit entfernt. Mein erster Preis, den ich damals in Sao Paolo (Brasilien) für meine Rolle in “Schuld sind immer die Anderen” bekommen habe, der wurde mir tatsächlich von Danis verliehen, er war damals Jury-Präsident bei diesem Filmfestival. Danis ist in nächster Zeit in Berlin anlässlich der Berlinale, ich habe dort schon meine Fühler ausgestreckt, um mich mit ihm persönlich zu treffen und darüber zu reden. Ich habe einfach Lust, in meiner Sprache und in meinem Land zu spielen. In diesem Zusammenhang habe ich einen Serben in dem Film “Auf kurze Distanz” gespielt und konnte zum ersten Mal in meiner Sprache vor der Kamera stehen, das ist ein ganz besonderes Gefühl.

Der Beitrag über deine Auszeichnung hat auf der Facebook-Page des Netzwerks große Wellen geschlagen. Es zeigt, wie sehr sich die Menschen in Deutschland, besonders aber in Bosnien, nach Erfolg und Identifikationsfiguren sehnen. Was hältst du in diesem Zusammenhang  von einem Netzwerk wie diesem, was erfolgreiche Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft bündelt und Synergieeffekte mit sich bringt?

Edin: Bosnien hat leider kein Standing, keiner weiß, was dort wirklich passiert ist und heute passiert, deshalb finde ich diese Art der Vernetzung unfassbar gut, uns gibt es und zwar in allen Bereichen. Wenn man die einzelnen Leute miteinander vernetzt und eine Plattform für den Austausch untereinander schafft, dann muss man eine solche Idee unterstützen. Ich habe das Gefühl, dass ihr diese Plattform schaffen könnt und für eine Mitte der bosnischen Gesellschaft steht, die in der Moderne angekommen ist, aber ihre Herkunft, Kultur und Tradition nicht vergessen hat.

Zum Abschluss: was ist deine Message an die bosnische Community da draußen?

Lasst euch nicht unterkriegen von irgendwelchen Umständen, denkt in großen Maßstäben. Wir müssen nicht laut sein, lieber unauffällig auffällig, lasst uns gut sein in dem, was wir machen. Es müssen sich nicht alle nach uns umdrehen, aber lasst es uns richtig machen. Ich wünsche allen alles erdenkliche Gute, vernetzt euch untereinander, unabhängig von Herkunft oder Religion – Spread love!

 

Wir danken Edin für seine Zeit und freuen uns darauf, ihn auch persönlich bei einer unseren Veranstaltungen begrüßen zu dürfen.

Foto: @FlorianLiedel