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Bosanski

Nach den wiederholten Medienberichten, die den Ministerpräsidenten Ungarns, Herrn Viktor Orbán, mit einer Karte Bosnien und Herzegowinas bzgl. der ethnischen Struktur des Landes zeigen, hat das Netzwerk bosnischer Studenten und Akademiker in Deutschland eine offizielle Stellungnahme an den ungarischen Botschafter, S.E. Dr. Péter Györkös, gesendet, um auf die verzerrte Darstellung der Realität in Bosnien und Herzegowina hinzuweisen und daran zu erinnern, mit den bosnischen Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen, und nicht über sie.

 

Die öffentliche Stellungnahme im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Botschafter,

nach den wiederholten Medienberichten, die den Ministerpräsidenten Ihres Landes, Herrn Viktor Orbán, mit einer Karte Bosnien und Herzegowinas bzgl. der Verteilung der ethnischen Gruppen in Bosnien und Herzegowina zeigen, möchten wir Sie auf einige Aspekte hinweisen, die in diesem Zusammenhang im Zuge eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen zwei souveränen Staaten und der europäischen Perspektive Bosnien und Herzegowinas wichtig sind.

Bildschirmfoto 2018 11 14 um 22.38.35 300x245 - Öffentliche Stellungnahme des Netzwerks an die ungarische Botschaft - November 2018

Tweet von Marko Attila Hoare (@markoah)

Anfang November 2018 erschien ein Bild, das Herrn Viktor Orbán mit der o.g. Karte und dem Buch des Islam-Kritikers Douglas Murray mit dem Titel „Der seltsame Tod Europas“ zeigt. Ohne näher auf den Autor oder die Inhalte des Buches einzugehen, ist es verwunderlich, warum die Frage der ethnischen Struktur Bosnien und Herzegowinas nicht auf offiziellen Terminen zwischen den zwei souveränen Staaten Bosnien und Herzegowina und Ungarn besprochen wird, sondern mit anderen Interessengruppen, wie beispielsweise einer italienischen Delegation aus dem rechten Lager im Februar 2018, wo erneut die Karte Bosnien und Herzegowinas bzgl. der ethnischen Struktur des Landes im Hintergrund zu sehen ist.

Der Kommentar einer der Teilnehmerinnen, Georgia Meloni, einer italienischen Journalistin und Vorsitzenden der Partei „Fratelli d’Italia“, die illegale Einwanderung sei zu stoppen und die Patrioten wüssten, wie dies gehen würde, zeigt, dass der bosnische Staat, aber noch viel mehr die bosnischen Bürgerinnen und Bürger Gesprächsthema sind, ohne an dem gleichen Tisch zu sitzen. Gegen diese Praxis möchten wir uns sehr klar aussprechen.

Eine Gelegenheit dafür gab es im April 2016, als die Delegation der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina unter der Leitung des religiösen Oberhauptes Reisu-l-ulema Husein ef. Kavazović von Herrn Orbán empfangen wurde. Damals fehlte jedoch eine solche Karte Bosnien und Herzegowinas im Raum.

Der entscheidende Punkt ist, dass der Fokus dieser Karte und der Gespräche auf der ethnischen Zugehörigkeit der Bürger Bosnien und Herzegowinas liegt, was eine starke Verzerrung der Realität ist, denn die ethnische Zugehörigkeit ist ein Merkmal der Identität eines Individuums unter vielen. Vielmehr muss der Fokus auf die Rechte und Pflichten jedes einzelnen Bürgers gerichtet werden.

Im Vordergrund steht dabei die Würde des Einzelnen und die Gleichheit auf dem gesamten Staatsgebiet Bosnien und Herzegowinas. In diese Richtung gehen dabei auch die Urteile vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg in den Fällen Sejdić – Finci, Pilav, Zornić und weiteren, die klar aufzeigen, inwiefern die aktuelle bosnische Verfassung gegen die Menschenrechte verstößt und die eigenen Bürgerinnen und Bürger diskriminiert.

An dieser Stelle ist es sinnvoll zu erwähnen, wie es zu der aktuellen Verfassung Bosnien und Herzegowinas kam, denn nur so lassen sich die heute diskriminierenden Inhalte der Verfassung verstehen. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Verfassung von Bosnien und Herzegowinas bzw. der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton sollten die ethnischen Bestimmungen den durch Völkermord und ethnische Säuberungen gekennzeichneten Konflikt von 1992 bis 1995 beenden. In dem damaligen Moment war es notwendig, die ethnische Zugehörigkeit hervorzuheben, um den Frieden zu sichern. Die Urteile vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg zeigen jedoch, dass es heute, 23 Jahre nach Kriegsende, keine Argumente mehr für die Aufrechterhaltung solcher Zustände gibt.

Wir würden uns freuen, wenn wir in einem gemeinsamen Gespräch darüber sprechen könnten, wie man die europäische Perspektive Bosnien und Herzegowinas auch durch die Initiative Ihres Landes, Ungarns, verbessern könnte. Ein entscheidender Punkt dabei wäre sicherlich die Implementierung der Urteile vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg in den Fällen Sejdić – Finci, Pilav, Zornić und weiteren.

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung.

Mit freundlichen Grüßen

 

Ahmed Spahić

Vorstandsvorsitzender NBSAD e.V.

 

Über das Netzwerk

Das Netzwerk bosnischer Studenten und Akademiker in Deutschland ist die größte Vereinigung seiner Art im deutschsprachigen Raum und vernetzt derzeit mehr als 150 engagierte Studierende, Akademiker und Professionals mit den unterschiedlichsten universitären Hintergründen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Hauptfokus des Netzwerks liegt dabei auf der Vernetzung von bosnisch-stämmigen Menschen mit dem Ziel der Vermittlung von Bildungschancen und beruflichen Perspektiven. Zudem dient das Netzwerk als Brückenbauer zwischen Bosnien und Herzegowina und Deutschland, Österreich und der Schweiz im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Sinne. Gleichzeitig setzt sich das Netzwerk als Sprachrohr für die europäische Perspektive Bosnien und Herzegowinas als zukünftiges vollwertiges Mitglied der Europäischen Union ein.


Das pangea | magazin ist ein Produkt des Netzwerks bosnischer Studenten und Akademiker in Deutschland e.V. – www.nbsad.de