Die Abgeordneten der Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag haben eine Kleine Anfrage zum “Serbischen Nationalismus in Bosnien und Herzegowina” an die Bundesregierung gestellt. Die Kleine Anfrage bezeichnet eine, auf wenige Punkte begrenze Fragestellung der Parlamentarier an die Exekutive, die binnen 14 Tagen beantwortet werden soll. Im Folgenden bringen wir die komplette Fragestellung. Sobald die Antwort der Bundesregierung vorliegt, werden wir diese auf Pangea veröffentlichen.
Kleine Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Annalena Baerbock, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Doris Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Serbischer Nationalismus in Bosnien und Herzegowina
Am 9. Januar 2017 ließ Milorad Dodik, Entitätspräsident des bosnischen Landesteils Republika Srpska, in Banja Luka eine Parade zum verfassungswidrigen „Tag der Republika Srpska“ abhalten. 25 Jahre zuvor war am 9. Januar 1992 innerhalb der damaligen jugoslawischen Republik Bosnien-Herzegowina von serbischen Nationalisten eine „Republik des serbischen Volkes in Bosnien-Herzegowina“ ausgerufen worden. Dieser Eskalationsschritt wird als eine der Vorbereitungen für den folgenden Bosnienkrieg angesehen, in dessen Verlauf es auf dem Gebiet des heutigen Landesteils und in weiteren Gegenden zu ethnisch motivierter Diskriminierung, Vertreibungen und tausendfachem Mord kam (vgl. u. a. Der Standard, 9. Januar 2017 und 14. Januar 2017). Ziel der nationalistischen Führung der bosnischen Serben war die Zerschlagung des multiethnischen Bosnien und Herzegowinas und die gewaltsame Schaffung eines „großserbischen“ Staates (vgl. Tages Anzeiger, 10. Januar 2017). Höhepunkt der ethnischen Massaker war der Völkermord an über 8 000 Bosniaken in der Stadt Srebrenica, die auf dem Gebiet des heutigen Landesteils Republika Srpska liegt. Mit dem Friedensvertrag von Dayton wurde 1995 der Krieg beendet, Bosnien und Herzegowina als souveräner und ungeteilter Staat bekräftigt und die Republika Srpska als eine von zwei ver- fassungsmäßigen Entitäten des Landes benannt.
Im November 2015 erklärte das Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina die Abhaltung des Feiertags am 9. Januar für verfassungswidrig, weil damit der nicht-serbische Teil der bosnischen Bevölkerung diskriminiert würde. Daraufhin ließ Milorad Dodik am 25. Oktober 2016 ein Referendum über den Feiertag ansetzen, das vom Verfassungsgericht wiederum für verfassungswidrig erklärt wurde. In dem er das Referendum dennoch durchführen ließ, setzte sich der Entitätspräsident über die bosnischen Verfassungsorgane und Warnungen der Europäischen Union und des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina hinweg. Dieser bislang folgenlos gebliebene Schritt gilt als weitere Beschädigung der bosnischen Staatsinstitutionen und Testlauf für ein seit Jahren von Milorad Dodik immer wieder angedrohtes Referendum über eine Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina (vgl. u. a. ZEIT Online, 25. September 2016).
An der Parade am 9. Januar 2017 nahm neben Milorad Dodik auch das serbische Mitglied der bosnischen Präsidentschaft, Mladen Ivanić, teil, dessen Partei PDP im Entitätsparlament der Republika Srpska der Opposition angehört. Weiterhin reiste der serbische Präsident Tomislav Nikolić sowie weitere Minister aus Ser- bien zur Parade nach Banja Luka an. Auch Edouard Ferrand und Dominique Bilde, Europaabgeordneten des französischen Front National, nahmen an der Pa- rade in Banja Luka teil (vgl. Balkan Insight, 9. Januar 2017, www.balkaninsight. com/en/article/bosnian-serbs-hold-national-day-despite-ban-01-09-2017).
Auf der Parade marschierten unter anderem mit Maschinengewehren ausgestattete Angehörige der Polizei, Kriegsveteranen, Feuerwehrleute, Mitglieder der Zivilverteidigung und Biker an den Staatsvertretern vorbei (vgl. Der Standard, 9. Januar 2017). Besonders umstritten ist die Teilnahme von Soldaten der Dritten Infanterie-Brigade der bosnischen Armee. Die Brigaden der bosnischen Armee sind weitgehend ethnisch homogen aufgestellt. Die Teilnahme der Brigade war von Präsidentschaftsmitglied Ivanić gefordert, aber von der bosnischen Verteidigungsministerin Marina Pendeš untersagt worden. Die Soldaten nahmen nicht an der Parade selbst teil, stellten sich aber entlang des Paradeplatzes auf und erstatteten gegenüber Präsidentschaftsmitglied Ivanić Bericht. Das bosnische Verteidigungsministerium untersucht den Vorfall wegen des Vorwurfs der Befehlsverweigerung (vgl. Der Standard, 14. Januar 2017).
Wir fragen die Bundesregierung:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass Milorad Dodik, Entitätspräsident des bosnischen Landesteils Republika Srpska, am sogenannten „Tag der Republika Srpska“ als Feiertag der Entität festhält, obwohl dieser vom Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina im Jahr 2015 als verfassungswidrig eingestuft worden war (vgl. Der Standard, 9. Januar 2017, Tages Anzeiger, 10. Januar 2017), und inwieweit stellt nach Ansicht der Bundesregierung dieses Verhalten eines Vertreters bosnischer Staatsstrukturen einen Verstoß gegen die bosnische Verfassung und gegen den weiterhin gültigen, von der internationalen Gemeinschaft überwachten Friedensvertrags von Dayton von 1995 dar?
Welche Haltung nahm nach Kenntnis der Bundesregierung das bosnisch-serbische Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, Mladen Ivanić, in dieser Frage ein (vgl. Deutschlandradio Kultur, 10. Dezember 2016)?
Wie bewertet die Bundesregierung, dass Entitätspräsident Milorad Dodik als Reaktion auf den Beschluss des Verfassungsgerichts, den Feiertag als verfassungswidrig einzustufen, ein Referendum über die Beibehaltung des Feiertags durchführen ließ, obwohl selbiges zuvor vom Verfassungsgericht ebenfalls als verfassungswidrig eingestuft worden war (vgl. Tages Anzeiger 10. Januar 2017) und was hat die Bundesregierung gegebenenfalls unternommen, um bilateral oder im Rahmen der internationalen Gemeinschaft die Durchführung eines verfassungswidrigen Referendums zu verhindern?
Wie lautet nach Kenntnis der Bundesregierung die Haltung der anderen im Friedensimplementierungsrat (PIC) vertretenen Staaten – insbesondere Großbritannien, Frankreich, USA, Italien und Russland – zu diesem Vorgang und wie haben sie sich bisher dazu verhalten (bitte jeweils ausführen)?
In welcher Weise wurde im Friedensimplementierungsrat (PIC) in diesem Zusammenhang der Einsatz der sogenannten Bonner Befugnisse (engl. Bonn Powers) in Erwägung gezogen, um gegebenenfalls einen Verstoß gegen die Friedensordnung von Dayton zu unterbinden, und wie lautete die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage?
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass der Botschafter Russlands in Bosnien und Herzegowina, Peter Iwanzow, das verfassungswidrige Referendum über die Beibehaltung des verfassungswidrigen Feiertags öffentlich unterstützte (vgl. Der Standard, 14. Januar 2017)?
Sieht die Bundesregierung eine Beschädigung der (gesamt-)staatlichen Institutionen Bosnien und Herzegowinas und insbesondere des Verfassungsgerichts durch das Verhalten von Entitätspräsident Milorad Dodik und wie schätzt die Bundesregierung die Handlungsfähigkeit der bosnischen Justiz ein, jene Politiker zur Verantwortung zu ziehen, welche die Beschlüsse des Verfassungsgerichts missachteten (vgl. Tages Anzeiger, 10. Januar 2017).
Was unternimmt die Bundesregierung konkret, um die bosnische (gesamtstaatliche) Justiz zu stärken und ihr insbesondere zu mehr Durchsetzungsfähigkeit zu verhelfen?
Welche Folgen könnte eine weitere Schwächung der staatlichen Institutionen Bosnien und Herzegowinas nach Ansicht der Bundesregierung für das Land haben?
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass anlässlich des für verfassungswidrig erklärten Feiertags am 9. Januar 2017 eine Parade unter Beteiligung bewaffneter Kräfte in Banja Luka abgehalten wurde (vgl. u. a. Der Standard, 14. Januar 2017)?
Welche Schlüsse bezüglich der Haltung Serbiens zur staatlichen Verfasstheit und Souveränität von Bosnien und Herzegowina zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass an der Parade in Banja Luka der serbische Staatspräsident Tomislav Nikolić und einige serbische Minister als offizielle Gäste teilnahmen und zum Teil das Wort an die Anwesenden richteten (vgl. Tages Anzeiger, 10. Januar 2017)?
Welche Schlüsse hinsichtlich der Haltung von Mladen Ivanić, Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, zur staatlichen Verfasstheit des von ihm repräsentierten Landes zieht die Bundesregierung aus dessen Teilnahme an der Parade in Banja Luka?
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Anwesenheit von Soldaten der Dritten Infanterie-Brigade der gesamtstaatlichen bosnischen Armee bei der Parade, die von Mladen Ivanić, Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums, nach Banja Luka beordert worden war (vgl. Der Standard, 14. Januar 2017)?
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass mit der rechtswidrigen, trotz Widerspruchs der bosnischen Justiz und der internationalen Gemeinschaft erfolgten Durchsetzung des Feiertages in Verbindung mit dem gelungenen Zugriff auf (serbische) Teile der gesamtstaatlichen Armee durch serbische Führer in Bosnien und Herzegowina eine qualitativ neue Stufe der schweren Krise der Staatlichkeit in Bosnien und Herzegowinas erreicht wurde, die die Sicherheit in der Westbalkanregion bedroht (vgl. Ibrahim Pro- hić, Schreckgespenst der Sezession, 13. Januar 2017, Hrsg.: Heinrich Böll Stiftung www.boell.de/de/2017/01/13/schreckgespenst-der-sezession)?
Sieht die Bundesregierung in der Tatsache, dass die einzelnen Truppenteile der bosnischen Armee weiterhin weitgehend ethnisch homogen aufgestellt sind, eine Gefahr, dass diese für eine gewaltsame Eskalation ethnischer Spannungen instrumentalisiert werden könnten (vgl. Kurt Bassuener, The Armed Forces of Bosnia and Herzegovina: Unfulfilled Promise, AI-DPC BiH Security Risk Analysis, Oktober 2015)?
Sind nach Ansicht der Bundesregierung die Äußerungen von Entitätspräsident Milorad Dodik, der bei einer Rede im Rahmen der Parade erklärte, man träume von einem „Anschluss an das Mutterland Serbien“, und der bei anderen Gelegenheiten erklärte, es sei eine „tolle Idee, dass man die Republika Srpska abteilt und eine Gemeinschaft mit Serbien macht“ und dass zu diesem neuen Staat auch Teile der Republik Kosovo gehören müssten, mit dem Friedensvertrag von Dayton, der territorialen Integrität des Landes und dem Ziel von Frieden und Sicherheit in der Region vereinbar (vgl. Der Standard, 9. Januar 2017; Tages Anzeiger, 10. Januar 2017)?
Sind nach Ansicht der Bundesregierung die Äußerungen Milorad Dodiks am Tag nach der Parade, man wolle sich in absehbarer Zeit der Frage nach einem Austritt aus dem Abkommen der Streitkräfte Bosnien und Herzegowinas widmen, beziehungsweise das Prozedere für die Wiedereinführung einer eigenen Armee der „Republika Srpska“ prüfen, als Androhung zu werten, das formulierte politische Ziel einer Abspaltung nötigenfalls mit militärischen Mitteln durchzusetzen, und wäre eine solche Haltung mit dem Friedensvertrag von Dayton, der territorialen Integrität des Landes und dem Ziel von Frieden und Sicherheit in der Region vereinbar (vgl. Ibrahim Prohić, www. boell.de/de/2017/01/13/schreckgespenst-der-sezession)?
In welcher Weise hat die Bundesregierung ihre Haltung zu den Vorgängen in Banja Luka um den bzw. am 9. Januar 2017 zum Ausdruck gebracht gegenüber Entitätspräsident Milorad Dodik, dem Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, Mladen Ivanić, und der serbischen Regierung (bitte jeweils Stellung nehmen)?
Inwieweit sieht die Bundesregierung eine Abspaltung der bosnischen Entität Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina als realistische Gefahr an?
Welche politischen Interessen und welche Strategie verfolgt nach Einschätzung der Bundesregierung und ihr zugänglichen nachrichtendienstlichen Quellen die russische Führung in Bezug auf Bosnien und Herzegowina und insbesondere in Bezug auf dessen territoriale Integrität?
Welche Bedeutung hat nach Einschätzung der Bundesregierung der in den letzten Jahren eingeschlagene außenpolitische Kurs Russlands insbesondere seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der militärischen Destabilisierung der Ukraine für die Sicherheit und Stabilität der Westbalkanregion?
Wie kann und sollte die internationale Gemeinschaft nach Ansicht der Bundesregierung der Gefahr einer drohenden Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina konkret entgegenwirken?
Welche Folgen hätte die angedrohte Abspaltung der bosnischen Entität Republika Srpska nach Ansicht der Bundesregierung für Frieden und Sicherheit in Europa?
Wie sollte die internationale Gemeinschaft nach Ansicht der Bundesregierung reagieren, falls die politische Führung der Republika Srpska ein Referendum über die Abspaltung von Bosnien und Herzegowina durchführt?
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass die Regierung der USA am 17. Januar 2017 gegen Milorad Dodik wegen der Missachtung des Urteils des Verfassungsgerichts und Zuwiderhandlung gegen den Friedensvertrag von Dayton Sanktionen verhängte und wie lautet die Haltung der Bundesregierung zu der Frage, ob die Europäische Union ihrerseits Sanktionen gegen die politische Führung der Republika Srpska verhängen sollte?
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Berlin, den 24. Januar 2017
Quelle: Bundestag.de